Insbesondere Start-ups, aber auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) im Allgemeinen, können im Zuge der Corona-Pandemie neuerdings mit der Frage konfrontiert sein, ob sie aufgrund von Gesellschafterdarlehen mit qualifiziertem Rangrücktritt als Unternehmen in Schwierigkeiten (UiS) gelten. Diese Problematik bekommt zwar derzeit noch recht wenig Aufmerksamkeit, wird aber durchaus in der Praxis wahrgenommen (Vgl. Weitnauer, GWR 2020, 127, 129 f.). Vor dem Hintergrund der Anreize zur Refinanzierung über Gesellschafterdarlehen, die zur Eindämmung der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie in § 2 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) geschaffen wurden, sollten Start-ups und Berater:innen die hier dargestellte Problematik im Auge behalten.
Gesellschafterdarlehn mit qualifiziertem Rangrücktritt
Das Gesellschafterdarlehen in der Überschuldungsbilanz
Es ist üblich, Finanzierungsengpässe durch Gesellschafterdarlehen zu überbrücken. Dies gilt insbesondere für die Gründer- und Start-up-Szene. Sind Gesellschafterdarlehen mit einem qualifizierten Rangrücktritt nach § 39 Abs. 2 Insolvenzordnung (InsO) versehen, sind sie in der Überschuldungsbilanz gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 InsO nicht als Verbindlichkeit der Gesellschaft zu passivieren. Das heißt, sie wirken sich nicht negativ auf die Überschuldungsbilanz eines Unternehmens aus. Dafür ist neben einem Rangrücktritt hinter die Forderungen des § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO erforderlich, dass die Rückzahlung des Darlehens ausgeschlossen ist, insoweit hierdurch Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit droht (BGH, Urt. v. 05.03.2015 – IX ZR 133/14, NJW 2015, 1672, 1674). Rechtlich ist in dem qualifizierte Rangrücktritt ein dinglich wirkender Schuldänderungsvertrag zugunsten der übrigen Gläubiger:innen zu sehen. Dieser begründet ein Zahlungsverbot, solange die Rückzahlung liquiditätsgefährdend ist (Hennrichs, NZG 2016, 1255, 1256). Steuer- und bilanzrechtlich kann jedoch entgegen der insolvenzrechtlichen Behandlung in der Überschuldungsbilanz sehr wohl eine Passivierung erfolgen, sofern es sich nicht um einen spezifizierten Rangrücktritt handelt (BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10, DStRE 2011, 450, 452; Urt. v. 10.08.2016 – I R 25/15, DStR 2017, 925, 927; Gummert, in: MüHdB Gesellschaftsrecht Bd. 1, § 22 Rn. 124).
Europarechtlicher Ursprung des „Unternehmens in Schwierigkeiten“
Die staatliche Unterstützung von Unternehmen ist durch das Europarecht nach Art. 107 und Art. 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) beschränkt, damit der europäische Wettbewerb nicht durch staatliche Förderung einzelner Unternehmen oder Sektoren verzerrt wird (Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 107 AEUV Rn. 1). Allerdings sind bestimmte staatliche Beihilfen erlaubt. Besondere Bedeutung hat in diesem Bereich die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung der Europäischen Kommission (EU) Nr. 651/2014 vom 17.06.2014 (AGVO). Diese sieht zahlreiche Ausnahmen vor, bei denen staatliche Beihilfen an Unternehmen zulässig sind. Jedoch schließt sie in Art. 1 Abs. 4 Bst. c AGVO die Gruppe der „Unternehmen in Schwierigkeiten“ (UiS) aus ihrem Anwendungsbereich aus, sodass UiS von vielen staatlichen Förderprogrammen ausgenommen sind.
Gesellschafterdarlehen mit qualifiziertem Rangrücktritt bei der Einstufung als UiS
Art. 2 Nr. 18 Bst. c AGVO verweist auf das innerstaatliche Insolvenzrecht. Gesellschafterdarlehen mit qualifiziertem Rangrücktritt nach innerstaatlichem Recht führen – wie bereits ausgeführt – nicht zu einer Überschuldung. Allerdings ergibt sich aus Art. 2 Nr. 18 Bst. a AGVO für Gesellschaften mit beschränkter Haftung, dass diese als UiS einzustufen sind, wenn sich nach Abzug der aufgelaufenen Verluste von den Rücklagen (und allen sonstigen Elementen, die im Allgemeinen den Eigenmitteln des Unternehmens zugerechnet werden) ein negativer kumulativer Betrag ergibt, der mehr als der Hälfte des gezeichneten Stammkapitals entspricht (Art. 2 Nr. 18 Bst. a AGVO). An dieser Stelle gibt es keinen Verweis auf das innerstaatliche Recht. Deshalb stellt sich die Frage, ob zur Berechnung der angelaufenen Verluste auf die insolvenzrechtliche Betrachtung der Überschuldungsbilanz zurückgegriffen werden kann. Wäre dies der Fall, könnten Gesellschafterdarlehen mit qualifiziertem Rangrücktritt sich nicht negativ auf die Bewertung als UiS auswirken.
Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM)
Im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) wird jedoch neuerdings nicht die insolvenzrechtliche Betrachtungsweise zugrunde gelegt, sondern der steuer- und bilanzrechtlichen Sichtweise gefolgt. Diese sieht also auch in Gesellschafterdarlehen mit qualifiziertem Rangrücktritt angelaufene Verluste, die sich bei der Einstufung als UiS im Rahmen des Art. 2 Nr. 18 Bst. a AGVO negativ auswirken.
Privilegierungen für Start-ups
In den ersten drei Jahren ihres Bestehens erfahren KMU eine Privilegierung in der AGVO; sie fallen nicht unter Art. 2 Nr. 18 Bst. a und b AGVO. Mithin gelten sie regelmäßig nur dann als UiS, wenn sie Gegenstand eines Insolvenzverfahrens sind oder nach innerstaatlichem Recht die Voraussetzungen zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Antrag der Gläubiger:innen erfüllen (Art. 2 Nr. 18 Bst. c AGVO). Aufgrund dieser Privilegierung greift § 19 Abs. 2 S. 2 InsO und Gesellschafterdarlehen mit qualifiziertem Rangrücktritt wirken sich nicht negativ auf die Bewertung von Start-ups als UiS aus.
In Art. 21 ff. AGVO werden besondere Bestimmungen für Risikofinanzierungsbeihilfen getroffen, bei denen durch staatliche Kofinanzierung Anreize für eine private Finanzierung geschaffen werden sollen (Erwägungsgrund 43 der AGVO). KMU sind zudem in Bezug auf Risikofinanzierungsbeihilfen in den ersten sieben Jahren nach ihrem ersten kommerziellen Verkauf von Art. 2 Nr. 18 Bst. a und b AGVO ausgenommen. In Bezug auf Risikofinanzierungsbeihilfen greift also über einen Zeitraum von sieben Jahren regelmäßig nur Art. 2 Nr. 18 Bst. c AGVO, sodass Gesellschafterdarlehen mit qualifiziertem Rangrücktritt sich nicht negativ auf die Einstufung als UiS auswirken.
Würdigung: Greift die insolvenzrechtliche oder eine steuerrechtliche Betrachtungsweise?
Es ist hier also der Frage nachzugehen, ob die steuer- und bilanzrechtliche Betrachtungsweise dem Zweck des Ausschlusses von UiS aus dem Anwendungsbereich der AGVO gerecht werden kann.
Der Wortlaut des Art. 2 Nr. 18 Bst. a AGVO gilbt keine Anhaltspunkte darüber, ob eine insolvenzrechtliche oder eine steuer- und bilanzrechtliche Betrachtungsweise vorzunehmen ist. Indem Art. 2 Nr. 18 Bst. c AGVO auf das innerstaatliche Insolvenzrecht verweist, legt er allerdings systematisch eine insolvenzrechtliche Betrachtung nahe.
Der Sinn und Zweck des Art. 1 Abs. 4 Bst. c AGVO spricht ebenfalls eher für eine insolvenzrechtliche Betrachtungsweise. Staatliche Beihilfen an UiS richten sich nach den Leitlinien der Europäischen Kommission 2014/C 249/01 vom 31.07.2014 – ursprünglich vom 01.10.2004 – für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten (R&U-Leitlinien). Sie sind aus dem Anwendungsbereich der AGVO ausgenommen, damit die R&U-Leitlinien nicht umgangen werden (Erwägungsgrund 14 der AGVO). Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen unterliegen strengeren Regeln, weil sie den europäischen Wettbewerb besonders stark verzerren (Rn. 6 der R&U-Leitlinien).
Sie sollen erst dann zum Einsatz kommen, wenn Unternehmen mit Zahlungsschwierigkeiten nicht mehr im Rahmen eines modernen Insolvenzrechts aufgefangen werden können (Rn. 7 R&U-Leitlinien). Aufgrund des Zahlungsverbots, das sich aus einem qualifizierten Rangrücktritt ergibt, erfolgt die Leistung auf ein Gesellschafterdarlehen, trotz vorrangiger Verbindlichkeiten oder drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, ohne Rechtsgrund und kann nach § 812 Abs. 1 Var. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zurückgefordert bzw. nach § 134 InsO angefochten werden (BGH, Urt. v. 05.03.2015 – IX ZR 133/14, NJW 2015, 1672, 1677; Frystatzki, DStR 2016, 2479, 2480). Zudem unterfallen Gesellschafterdarlehen im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO der Insolvenzanfechtung nach §§ 135 I Nr. 2, 143 InsO.
Gesellschafterdarlehen mit qualifiziertem Rangrücktritt werden also durch das innerstaatlich Insolvenzrecht zu genüge berücksichtigt und können keine Zahlungsschwierigkeiten des Unternehmens begründen (Vgl. Rn. 7 R&U-Leitlinien). Damit besteht kein Grund ein Unternehmen aufgrund von Gesellschafterdarlehen mit qualifiziertem Rangrücktritt als UiS nach Rn. 20 der R&U-Leitlinien einzuordnen. Aus der Verknüpfung zwischen R&U-Leitlinien und AGVO ergibt sich konsequenterweise, dass auch kein Anlass besteht diese im Rahmen des Art. 2 Nr. 18 Bst. a AGVO zu berücksichtigen.
Insolvenzrechtliche Betrachtung kommt Covid-19-Maßnahmen entgegen
Die insolvenzrechtliche Betrachtungsweise löst zudem das paradoxe Ergebnis auf, dass Gesellschafterdarlehen mit qualifiziertem Rangrücktritt in den ersten drei bzw. sieben Jahren des Bestehens eines KMU eine erwünschte und privilegierte Finanzierungsform darstellen; nach Ablauf von drei bzw. sieben Jahren aber bei der Einstufung als UiS mit gewöhnlichen Darlehensverbindlichkeiten gleichgestellt werden. Weiterhin kommt die insolvenzrechtliche Betrachtungsweise den Covid-19-Maßnahmen entgegen. Diese schaffen einerseits Anreize, Gesellschafterdarlehen zur Überwindung der Folgen der Covid-19-Pandemie zu gewähren. Gleichzeitig schließen die zwei Säulen zur Unterstützung von Start-ups, UiS aus der Förderung aus. Das Nebeneinander dieser Maßnahmen verträgt sich besser mit der insolvenzrechtlichen Betrachtungsweise.
Im Ergebnis sollte also auch im Rahmen des Art. 2 Nr. 18 Bst. a AGVO der insolvenzrechtlichen Betrachtungsweise gefolgt werden, sodass Gesellschafterdarlehen mit qualifiziertem Rangrücktritt nicht zu einer Einstufung von Start-ups als UiS führen können.